Museo Castello San Materno
20. Mai - 18. September 2016
Formen, Farben, Raum, Licht - Giorgio Morandi - Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen ist die erste Sonderausstellung, die in den Sälen des Museo Castello San Materno in Ascona eröffnet wird. Sie entsteht aus einem Projekt der Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten, Solothurn, in Zusammenarbeit mit dem Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, das in Person seines Gründers Franz Armin Morat, Sammler und ausgewiesener Kenner von Morandis Werk, für Ascona 28 der 30 ausgestellten Werken des italienischen Meisters großzügig als Leihgaben gewährt hat.
Die Ausstellung umfasst vor allem Zeichnungen und Radierungen von Morandi von den zwanziger bis zu den sechziger Jahren, die mit drei prächtigen Ölgemälden und einem Aquarell im Dialog stehen, um zu zeigen, wie sehr diese beiden Techniken im langen künstlerischen Werdegang von Morandi in entscheidenden Momenten des Wandels oder der stilistischen Vertiefung Vorrang hatten. Giorgio Morandi konzentriert sich ganz darauf, die innere Struktur des Objekts in seiner natürlichen Umgebung zu untersuchen, um eine analytische Kontrolle der Form zu erreichen, die jeden schlichten Naturalismus überwindet und den tiefen Atemzug seines lyrischen, schwingenden Gefühls zusammenfasst, das zu einem inneren Licht wird und mit dem Objekt, das erst darin enthüllt wird, verschmilzt. Seine so intim poetischen Werke setzen ein Licht frei, das zur Form wird, ein Lebenselixier, das Verkörperung erreicht, zum tiefen Atem der Dinge wird, ein emotives und mentales Gewebe, das einmal dunkel, dann kontrastreich oder strahlend erscheint, in dem der Künstler sich identifiziert, um sich selbst, seine Zweifel, Mühen und Hoffnungen zum Ausdruck zu bringen.
Diese Ausstellung hat nicht den Ehrgeiz, alle Phasen des großen Meisters des italienischen Novecento zu dokumentieren, sondern will ihn vielmehr mit einer besonderen Auswahl von Radierungen und vor allem Zeichnungen ehren, deren Beziehung zu den Gemälden in der Arbeitspraxis des Künstlers wesentlich für das Studium der Modelle und Kompositionen ist. In der Annäherung an die Alltagsgegenstände und den Landschaftsraum erkennt Morandi geometrische Grundelemente (Würfel, Zylinder, Kugeln, Dreiecke), in denen sich ihre sichtbare Essenz Bahn bricht. Der Künstler entkleidet das Objekt von allem Überflüssigen, um es auf der Leinwand in seiner spürbaren Klarheit darzustellen, getaucht in eine stille, kontemplative Atmosphäre. Die Werke werden zum Spiegel dieses außerordentlichen Künstlers, dem es gelang, ganz er selbst zu sein. Er stand außerhalb aller Strömungen und unterhielt äußerst geringe Kontakte zu anderen Malern und Künstlern seiner Zeit, denn er malte fast ausschließlich dieselben Gegenstände in demselben Zimmer, in dem er sein ganzes Leben lang wohnte. Er ist ein klassischer Künstler, nicht nur wegen der Harmonie und Unerschütterlichkeit, die seine Werke, auch die am stärksten vibrierenden, zerfließenden Werke ausstrahlen, sondern vor allem wegen seiner Fähigkeit, jedes, auch das banalste Objekt der Realität, in eine ruhige, strenge Feierlichkeit, in einen lyrischen, poetischen Akzent zu verwandeln, in dem jede Mischung, jede Farbe zu einer intensiven Atmosphäre von Inbrunst und menschlicher Präsenz beiträgt. Dieser Maler hat seine Kunst zum täglichen Beruf gemacht, als Medium seiner wahrsten Gefühle, mit seinem originellen Stil, den er stets als sein Erkennungszeichen zu bewahren vermochte, obwohl er sich durch die Vermittlung der Werke von Cézanne, die ihm eine erste Inspirationsquelle waren, auch mit den Avantgardeströmungen auseinandergesetzt hatte. Heute gilt Giorgio Morandi als einer der größten und angesehensten italienischen Künstler des 20. Jahrhunderts.
Mara Folini
Donnerstag, den 19. Mai, um 18.30 Uhr
Museo Castello San Materno, Ascona
Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg im Breisgau
Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten, Solothurn
Giorgio Morandi (Bologna, 1890-1964) schloss 1913 sein Studium an der Akademie der Schönen Künste in Bologna ab, wo er Osvaldo Licini, Severo Pozzati, Giacomo Vespignani und Mario Bacchelli kennenlernte, die Künstlerfreunde mit denen er 1914 im Hotel Baglioni in Bologna ausstellte. Seine Ausbildung basierte auf dem Studium der grossen Meister, von Giotto bis Piero della Francesca, von Chardin bis Corot und Cézanne. Von Anfang an bevorzugte Morandi Landschaften, Stillleben und Blumen als Sujets, die die wesentlichen Themen seines gesamten Werkes sein sollten.
Seit 1928 war er an mehreren Ausgaben der Biennale von Venedig, an den römischen Quadriennalen und in verschiedenen italienischen und ausländischen Städten vertreten. Von 1930 bis 1956 unterrichtete er Gravurtechniken an der Akademie der Bildenden Künste in Bologna und realisierte in diesen Jahren die meisten seiner Radierungen. Erst in den Jahren seiner Reife widmete er sich fortlaufend der Aquarellmalerei, nach einigen seltenen und sporadischen Versuchen in den '10er und '30er Jahren. Obwohl er Bologna und Grizzana, das Apennin-Dorf, in dem er jeden Sommer verbrachte, kaum jemals verliess, begann sein Ruhm zu wachsen und die Stadtmauern zu überschreiten, dank scharfer und intelligenter Kritiker und einer erlesenen Patrouille von Kunstliebhabern und Sammlern.
Der Erfolg kam 1948 mit dem Ersten Preis für Malerei auf der Biennale von Venedig, gefolgt von zwei ersten Preisen 1953 und 1957, einen für Gravur und einen für Malerei, auf der Biennale von Sao Paulo in Brasilien und dem Rubenspreis der Stadt Siegen 1962.