Museo Castello San Materno

26. Mai - 29. September 2019

Lyonel Feininger
Auf großer Fahrt

Einem bedeutenden Vertreter der klassischen Moderne, dem amerikanischen Karikaturisten, Maler, Zeichner und Grafiker Lyonel Feininger (1871-1956), ist die diesjährige Sonderausstellung in den Räumen des Museo Castello San Materno Ascona gewidmet. Sie versteht sich als Beitrag zum Jubiläum der bedeutendsten deutschen Schule für Architektur, Design und Kunst: 100 Jahre Bauhaus.

Lyonel Feininger - Auf großer Fahrt konzentriert sich auf zwei seiner wichtigsten Bildmotive: die Schiffe und das Meer; Motive, die sich schon in seinen Karikaturen und Comics zeigen, dann aber mehr und mehr Bedeutung in seinen Skizzen, Aquarellen, Grafi ken und Gemälden gewinnen. Feiningers gesamte künstlerische Entwicklung spiegelt sich in seiner lebenslangen Beschäftigung mit diesen Motiven.
Dank bedeutender Leihgaben aus Privatsammlungen in den USA, in Großbritannien, Deutschland, Italien und der Schweiz sowie von Marlborough International Fine Art und den umfangreichen Leihgaben von Moeller Fine Art, New York, konnte die Ausstellung realisiert werden.
Die Kuratoren sind Harald Fiebig und der Gründer und Leiter des Lyonel Feininger Project, New York - Berlin, Achim Moeller , unter Mitarbeit von Sebastian Ehlert. Die Ausstellung ist ein Projekt der Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten, Solothurn, in Kooperation mit dem Museo Comunale d'Arte Moderna und der Gemeinde Ascona.

Lyonel Feininger kommt 1887 aus New York nach Deutschland, eigentlich um ein Studium der Musik aufzunehmen. Doch glückliche Umstände erlauben ihm, erst Zeichenunterricht an der Allgemeinen Gewerbeschule und Schule für Bauhandwerker in Hamburg, dann an der Königlichen akademischen Hochschule für die bildenden Künste in Berlin und schließlich an der privaten Pariser Académie Colarossi ein Studium der Malerei aufzunehmen. Sein erstes Ölgemälde wird der spätere Maler und Bauhaus- Künstler allerdings erst mit 36 Jahren malen.

Seine Karriere startet Feininger 1895 als Karikaturist und Illustrator für satirische Zeitschriften in Berlin. Noch spielen in Feiningers Karikaturen die Motive Meer und Schiffe eine untergeordnete Rolle. Erst als er 1906 für die Chicago Sunday Tribune die auf seine Ideen zurückgehenden Comicserien The Kin-der- Kids und Wee Willie Winkie's World entwickelt und umsetzt, nehmen sie erstmals breiteren Raum ein.

Auch wenn diese Auftragsarbeiten Feininger und seiner Familie ein gesichertes Einkommen ermöglichen, künstlerisch befriedigen sie ihn immer weniger. Lyonel Feininger will mehr - er will Maler werden.

1906 siedelt er für ein Jahr nach Paris über. Jahre künstlerischer Neuorientierung beginnen. Sein erstes Gemälde entsteht. Er studiert erneut an der Académie Colarossi, lernt den Maler Robert Delaunay kennen und freundet sich mit Künstlern an, die zum Künstlerkreis des Café du Dôme und zu den Gründern der Académie Matisse gehören. Ein Wendepunkt in Feiningers Schaffen wird 1911 seine Begegnung mit dem Kubismus im Salon des Indépendants in Paris. Doch er geht seinen ganz eigenen Weg bei der Umsetzung. Feininger löst sich nie ganz vom Gegenstand. In kristalline, sich durchdringende Formen splittert er das Dargestellte auf. Die Zerlegung des Objektes übernimmt er nicht.

Neben den Motiven Schiffe und Meer widmet sich Feininger in seinem OEuvre intensiv den Stadtlandschaften. Aber nicht die Großstadt wird, mit Ausnahme von Paris und später New York, zu seinem bevorzugten Sujet, es sind vielmehr die beschaulichen thüringischen Dörfer und Kirchen, die vor allem seine Aufmerksamkeit fi nden. Gestalterische Überhöhung, Abstraktion des Gegenstandes und eine Reduktion des Naturvorbildes werden Ziel seiner Malerei.

1912 lernt er die Maler der Künstlergruppe Brücke kennen. Eine lebenslange Freundschaft wird ihn mit Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel verbinden. Ebenso bestehen Kontakte zur Münchner Künstlergemeinschaft Der Blaue Reiter. Schon bald fi ndet seine Kunst Anerkennung und Fürsprecher. Nach ersten Ausstellungsbeteiligungen in Paris folgt 1913 eine Einladung von Franz Marc, sich in der Berliner Galerie Der Sturm von Herwarth Walden an einer Gruppenausstellung, dem Ersten Deutschen Herbstsalon, zu beteiligen. 1917 findet bei Walden auch Feiningers erste Einzelausstellung statt. 1919 wird er als Lehrender an das Bauhaus nach Weimar berufen.

Sommerliche Reisen führen Feininger schon früh an die Ostsee. Doch erst ab 1911, als Usedom bevorzugter Ort für seine sommerlichen Studienreisen ist, entdeckt er das Meer und die Schiffe als wesentliche Motive. Eine intensive Auseinandersetzung setzt 1924 ein, als er das Fischerdorf und den Badeort Deep für sich entdeckt.

Bei Spaziergängen oder bei seinen Erkundungen auf dem Fahrrad, stets führt er einen Schreibblock mit sich, in dem er das Gesehene zügig festhält: ein erstes Studium nach der Natur, welches Feininger immer als unerlässlich empfand. Zumeist werden diese von ihm selbst als "žNaturnotizen" bezeichneten Skizzenblätter mit genauem Datum und Ortsangaben versehen, gelocht und in Ordnern abgeheftet. Sie dienen ihm oft Jahrzehnte später noch als Anregung für seine im Atelier komponierten Gemälde.

Gleichberechtigt neben seinen Ölgemälden stehen seine Aquarelle. Sie entstehen im Sommer, während üblicherweise der Winter den Leinwandarbeiten vorbehalten ist. Küstenstreifen, Meereslandschaften und Schiffe, die auf dem Meer dahingleiten, sind vor allem in seinen Aquarellen bevorzugte Motive. Elegante, biedermeierhafte Spaziergänger, wie seinen früheren Karikaturen entlehnt, fi nden sich zu Anfang noch bildbestimmend im Vordergrund. Mehr und mehr treten sie zurück, werden kleiner und machen so unendliche Weite deutlich.

Erst relativ spät beginnt sich Feininger mit den druckgrafi - schen Techniken auseinanderzusetzen. Zunächst beschäftigt er sich 1906 mit der Radierung und der Lithografi e, bis er schließlich 1918 den Holzschnitt für sich entdeckt. Die Anzahl und Vielfalt seiner Holzschnitte bilden in Feiningers druckgrafi schem Werk eindeutig den Schwerpunkt.

Der Fotografi e wendet sich Feininger erst 1928 im Alter von 57 Jahren zu; angeregt vermutlich durch den ab 1923 am Bauhaus lehrenden László Moholy-Nagy, aber vor allem durch seine beiden Söhne Andreas und Theodore Lux, die zu bedeutenden Fotografen werden. Die Motive sind vielfältig. Wiederholt fotografi ert Feininger auch seine selbstgebauten Modellschiffe. Die Aufnahmen lassen die Schiffe beinah wie lebensgroße Yachten auf den Meeren erscheinen.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten werden seine Werke als "žentartete" Kunst diffamiert und aus den deutschen Museen entfernt. In seiner Kunstausübung stark eingeschränkt, entschließt er sich 1937, zusammen mit seiner jüdischen Frau Julia nach New York zurückzukehren. Der mittlerweile Fünfundsechzigjährige muss als Künstler neu beginnen. Schon bald gelingt es ihm, mit einem monumentalen Auftrag für mehrere Wandgemälde auf der Weltausstellung in New York 1939/40 wieder künstlerisch Fuß zu fassen. Auch bei diesem Projekt sind Meer und Schiffe die zentrale Bildidee.

Alle Arten von Schiffstypen fi nden sich auf den Gemälden und Arbeiten auf Papier. Eine kleine Welt der technischen Entwicklung der Seefahrt fächert uns Lyonel Feininger in seinen Bildwelten auf: von der majestätischen Bark zum Dampfschiff, von der stolzen Segelyacht bis hin zum kleinen Fischerboot. Doch lässt uns Feininger sinnbildlich in seinen Bildern von Schiffen und dem Meer auch teilhaben am wechselvollen Dasein.

Der deutsche Philosoph Georg Simmel schreibt 1911: "žAllenthalben wird das Meer als das Symbol des Lebens empfunden: seine ewig formwandelnde Bewegung, die Unergründlichkeit seiner Tiefen, der Wechsel zwischen Glätte und Aufgewühltsein, sein Sichverlieren am Horizont und das ziellose Spiel seines Rhythmus - alles dies gestattet der Seele, ihr eigenes Lebensgefühl in das Meer zu transponieren." Worte, die sehr wohl auch die maritime Bildwelt Lyonel Feiningers beschreiben könnten.

Harald Fiebig

Vernissage

Samstag, den 25. Mai, um 17.00 Uhr

Plakat

Sitz

Museo Castello San Materno, Ascona