Casa Serodine
4. September - 31. Oktober 2009
Beitrag von Matthias Vogel, im Katalog Marco Pellanda. Opere, 2009
Marco Pellanda: Transformator
Gerne bringen wir, so problematisch das auch sein mag, schöpferische Menschen und ihre Werke - in diesem Fall Bilder, aber auch Objekte und Möbel - zum Gleichklang. Die Persönlichkeit Marco Pellandas hat etwas Überbordendes, eine Fülle von Worten und anderer Zeichen, Gestik und Mimik, tritt einem entgegen. Grosszügig geht der Mensch mit seinen Kräften und Ressourcen um, Diätetik oder Ökonomie scheinen ihm fremd. Sparta ist fern, näher die heiligen Haine des Epikur, wo Scherz und Lebenslust regieren. Der alte Begriff der Abundanz taucht in diesem Zusammenhang auf, dieser bedeutet im Verständnis des Aristoteles: eines und dasselbe mehrmals tun, ohne sich zu wiederholen. Und nun sieht man auch auf Pellandas Bildern Dinge, Farben und Formen, die allenthalben überquellen oder Möbel, die in den Raum ausgreifen. Auf einer Fotografie türmen sich Fleischstücke zur freudvollen Augenweide und gleichzeitig zum Memento Mori, auf einer anderen funkeln vielfarbige Edelsteine, bis sich dem trüben Geist das Dickicht lichtet. Gegen die logische Stringenz wuchern Assoziationsketten und Metaphorik; nur durch die Analogie der Linien von Flasche und Menschenkörper schwingt in der Bierwerbung ein Appell gegen die Magersucht mit. Das Viele wird nicht nach buchhalterischen Gesichtspunkten bewertet, es wird immer als Zugewinn verstanden.
Bald erkennt man jedoch, dass das, was in den Arbeiten von Marco Pellanda auf inhaltlicher Ebene ausufert, durch die Form zusammengehalten wird. Hier findet sich Klarheit und da und dort auch eine Prise Purismus. Eine weitere Eigenschaft des Künstler bricht sich hier Bahn: Treue, Treue zu Freunden, Treue zu seinen Ueberzeugungen und Meinungen; er ist insistent ohne dickköpfig zu sein. Dazu gehört auch sein handwerklicher Stolz angesichts der perfekten Ausführung, sein Kampf gegen den Schlendrian im technischen Bereich. In seinen Fotografien findet sich keine übertriebene Spielerei mit Blickwinkeln, dafür eine fast altmeisterliche Klarheit der Linie; die Diagonale wird durch senkrechte oder horizontale Elemente aufgefangen und dadurch in eine Gesamtordnung eingebunden. Auch die Farben werden nicht beliebig kombiniert. Die Liebe zur formalen Strenge schlägt dann und wann auch wieder auf der inhaltlichen Ebene durch. Wenn es um Kampagnen geht, kann die visuelle Sprache auch lapidar sein und die Aussage auf den Punkt bringen: Der fröhliche Rollstuhlfahrer, der trotz Einschränkungen Lebenswärme ausstrahlt; das weissgewandete Mädchen, das den Verlockungen des dunklen Waldes erliegt; die "žFoie gras" Kreation, die schwerelos im Raum schwebt. Abundanz bei Marco Pellanda meint das Umfassende des orphischen Denkens, das hen kai pan, das Ein und Alles. Es ist ein Denken, das sich von Pythagoras und Heraklit bis Spinoza und Giordano Bruno durch das Abendland zieht, aber vom Morgenland gespeist und im Schlagwort des Gesamtkunstwerks zusammengefasst wird.
Die Treue zu Menschen, Sachen und Ideen bedeutet nicht, dass sich der Fotograf und Gestalter in sicheren Bahnen bewegt oder gar an einem befriedeten Ort zur Ruhe setzt. Wiederholung gibt es bei ihm nur dort, wo es darum geht, eine einmal gefundene Qualität in neuer Konstellation wieder aufleben zu lassen. Diese Fähigkeit zur Reproduktion ist dem Fotografen Beweis dafür, dass nichts dem Zufall überlassen wird, dass jemand sein Handwerk beherrscht. Ansonsten ist sein Schaffen eine ständige Transformation. Das Bestehende wird nicht verworfen, jedoch umgewandelt, in ein neues Umfeld übersetzt. Bei aller Veränderung bleibt das Vormalige unterschwellig gegenwärtig und kann erfrischt Wiedersehen feiern. Wann und wo ist nicht vorauszusagen, jedoch das eine: Im Zukünftigen steckt neben dem Neuen bereits Verarbeitetes. Wie er sein eigenes Schaffen beständig erneuert, so setzt Marco Pellanda die verschiedenen künstlerischen und peformativen Mittel ein, damit sich die Gesellschaft - nicht als Ganzes, aber in ihren Teilen - regeniert. Und was dann an die Betrachter übergeben wird, in der Hoffnung, dass sie überraschende Erfahrungen von nachhaltiger Wirkung machen, ist etwas das zuvor weder gesehen noch gefühlt wurde. Der Graben zwischen Schöpfer und Konsument verschliesst sich zu einem Raum, in dem es kein distanziertes und kontrolliertes Aussen mehr gibt. Hingegen geschieht es dort gelegentlich, dass man ein Bild begreift und dabei sich selbst nähert. Dort kommt es zur Provokation, zum Kampf als Herkunft von Werden und Vergehen, aber auch zur Versöhnung, zur Vereinigung widerstrebender Kräfte.
Ganzes ohne Totalität: "žUnd aus dem Nichts sich erhebt aufs neue die Fülle der Dinge" (Lukrez)
Freitag, den 4. September
17.00 Uhr Eröffnung mit einer Aktion des Künstlers Marco Pellanda
18.30 Uhr Einführung von Matthias Vogel
Casa Serodine, Piazza San Pietro, Ascona
Marco Pellanda (22. Januar 1955) - Fotograf
"In stiller Ewigkeit verloren,
war ich, bis dass ich sichtbar
ward geboren ..."
Bis 19
Schule, in dieser Zeit, als italienischer Mitbürger voll integriert und
angepasst, somit schweizerbürgerrechtstauglich, und demzufolge ab dem 15. Lebensjahr Doppel-bürger von Italien
und der Schweiz.
Nach der Schule 6 Jahre Photoassistent inklusive
Ausbildung (Lehre) zum Berufsphotographen bei Dominic P. Schneider.
Mit 29 Beginn mit dem Aufbau einer
Designwerkstätte, mit alternativ denkenden Sandsäcken, wobei 84 verschiedene
Möbelentwürfe kreiert wurden, in limitierter Auflage hergestellt und vertrieben
(diverse Modelle sind noch erhältlich).
Ab Mitte 35 als Photograph tätig in den Bereichen
inszenierte Peoplephotographie, Autos, Uhren, Schmuck und Food.
Bis zum 45. Altersjahr nur in der Werbephotographie
tätig, ab dann Realisierung diverser Bücher: Brücken, Schmuck, Kunst und
Kochen. Immer noch Photograph aus Leidenschaft.
"... und vor mir dehnt sich
lang und breit wie ehedem
die Ewigkeit"
Iris | auf Leinwand | 225 x 150 cm
Pius XIII | auf Leinwand | 225 x 150 cm
Paradise Beach | auf Leinwand | 225 x 150 cm
Mao | auf Leinwand | 178.5 x 150 cm
Graffiti | auf Leinwand | 225 x 150 cm
Engel der Versuchung | auf Leinwand | 208.7 x 130 cm
Füsse | auf Leinwand | 225 x 150 cm
Iron Crab Hängemöbel | Holz, Eisen und Pergament
CD-Schrank | Ahorn, Siebdruck
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